Markus Neumanns Buch „Das ETF-Portfolio. Wie Sie ein fast unschlagbares Depot zusammenstellen und managen“ ist nicht für Anfänger des passiven Investierens geschrieben, sondern richtet sich an erfahrenere Anleger, die die theoretischen Grundlagen bereits kennen. Ihnen hilft der Autor mit weiterführenden Analysen und Tipps, ihr Portfolio zu optimieren.
Markus Neumanns „Das ETF-Portfolio“: Neues zum Rebalancing
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Mit seinen Ausführungen zum Rendite- und Risiko-Nutzen von Rebalancing stößt Neumann in neue Forschungsfelder vor. Vergleichbares habe ich in keinem anderen Investmentbuch gelesen. Mit großem Interesse verfolgte ich die Ergebnisse gerade zum Rebalancing innerhalb des risikoreichen Depot-Anteils im Vergleich zum Rebalancing zwischen dem risikoreichen und risikoarmen. Die unabhängige Kapitalmarktforschung ist jetzt gefragt, hier weiterzugehen, um die bestehende Erkenntnislücke zu schließen.
Längere Börsen-Durststrecken als gedacht
Ebenso überrascht hat mich die Information, dass es in der Vergangenheit bereits mindestens einen Zeitraum gab, in dem der Weltaktienmarkt länger als etwa 13 Jahre unter einstigen Höchstständen notierte, nämlich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Über zwei quälende Jahrzehnte drückte der Bär die Kurse mit seiner Tatze unter frühere Werte. Dennoch halte ich die übliche Empfehlung zum Mindestanlagezeitraum von 15 Jahren für ausreichend. Die Vergangenheit zeigt, dass in den allermeisten Fällen – nur wohl nicht in mehreren dicht aufeinanderfolgenden absoluten Megakatastrophen globalen Ausmaßes – die Kurse bis dahin wieder ins Plus gedreht haben, meistens sogar schon deutlich früher, etwa nach 10 oder 5 Jahren.
Neumanns 8 ETF-Musterportfolios: Von einfach bis umfassend
Übersichtlich sind Neumann seine Musterportfolios gelungen, 8 an der Zahl präsentiert er uns von ganz einfach (ausschließlich Industrieländeraktien) bis maximal diversifiziert (inkl. Rohstoffen, Gold und Anleihen) im risikoreichen Teil. Mögliche passende ETFs nennt er dem Leser ebenfalls. Interessanterweise geht der Autor von einer so genannten naiven Asset Allocation aus: Die Anlageklassen sind gleichgewichtet. Da sich Neumann auf sein Portfolio mit 7 verschiedenen konzentriert – Rohstoffe klammert er aus –, erhält jeder ETF 100 % / 7 = 14,29 % Anteil im Depot.
Mathematisch korrekt, aber im Alltag eines typischen Privatanlegers drollig sind die zwei Nachkommastellen: Die Genauigkeit ist kaum zu erreichen, schon exakt auf eine volle Prozentzahl zu rebalancen ist kaum möglich, und spätestens eine halbe Stunde danach ist die schöne Korrektheit ohnehin wieder passé. Als Orientierung ist es jedoch sinnvoll, um gerade bei so vielen Positionen zumindest annähernd richtig zu gewichten. In dem Kontext ist das Erklärkapitel zu jeder einzelnen Anlageklasse ein echter Gewinn für den Leser, der sich über Aktien hinaus breiter aufstellen möchte.
Der risikoarme Teil des Anlagevermögens und die spätere Entnahme
Die Ausführungen Neumanns für den sicheren Part sind erwartbar, jedoch mit einem nuancierten Unterschied zu denen von Gerd Kommer: Neumann führt unter anderem Staatsanleihen höchster/hoher Bonität in Euro mit unterschiedlichen Laufzeiten an, während Kommer nur solche mit einer Restlaufzeit von maximal 3 Jahren als sicher genug qualifiziert. Der Autor macht hier die Risiken (und Chancen) transparent. Für einen fortgeschrittenen passiven Anleger, der Risiken einschätzen kann, weil er sie selbst bereits erlebt hat, ist das eine interessante Perspektive, zumal Neumann auch darauf verweist, dass man eventuell gar keinen risikoarmen Part benötigt, sofern man bereits andere risikoarme Vermögenswerte hält – Gerd Kommer zählt hierzu meines Wissens auch Ansprüche an die gesetzliche Rentenversicherung in Deutschland.
Insgesamt erlebte ich seine Werbung Ausführungen als Schule des Denkens in Risikosenkung durch die Mischung gering korrelierender Assets. Gut ist auch, dass der Autor sich verschiedenen Entnahmestrategien widmet – ein bis heute notorisch unterbelichtetes Thema in der Finanzliteratur.
Überraschungen im ETF-Weltportfolio – sogar aktive Elemente
Das von Neumann hervorgehobene Musterportfolio ist für einen passiven Anleger überraschend, da es sowohl High Yield und Emerging Markets Bonds enthält, als auch Immobilien- und Nahrungsmittelaktien separat ergänzt, wobei der Autor mit den Immobilienaktien sehr aktiv umgeht. Zum Beispiel hat er sie im Herbst 2020 verkauft, weil er strukturelle Änderungen in der Immobilienwirtschaft befürchtet aufgrund eines möglicherweise dauerhaften Homeoffice-Trends.
Dass es solche strukturellen Veränderungen in jeder Branche immer wieder einmal gibt und diese auch kursrelevant sind, bestreitet niemand. Fraglich bleibt jedoch, warum nun ausgerechnet Neumann die strukturellen Änderungen besser einschätzen können soll als der Markt, sodass er etwas weiß, das der Markt noch nicht eingepreist hat, aber demnächst berücksichtigen wird. Immerhin macht Neumann transparent, dass er mit seinem Trading bereits danebenlag.
Dieser Part will nicht zu den Grundüberzeugungen des passiven Investierens auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse zur Informationseffizienz der Märkte passen und ist in dem Buch ein Fremdkörper. Wie das Musterportfolio in dieser und auch anderer Hinsicht (Nahrungsmittelaktien als Unter-Assetklasse mit besonderem Gewicht) und die Überzeugung des passiven Investierens in einem Kopf zusammengebracht werden können, kann ich mir nicht erklären.
Die beiden ETFs auf Immobilien- und Nahrungsmittelaktien, in die zusammen knapp 30 % des Portfolios investiert sind, enthalten naturgemäß nur wenige Unternehmen, nämlich gut 40 bzw. knapp 120 Werte, und sind auch in sich schlecht diversifiziert: Auf die Top 10 entfallen zwischen rund 50 % und 60 % des Fondsvolumens. Das bestätigt den Eindruck einer Branchenspekulation, die die damit einhergehenden Klumpenrisiken für das Geamtportfolio aufweist.
Die Datenbasis: Rund 18 Jahre
Neumann fundiert sein Musterportfolio, das im risikoreichen Teil, wie gesagt, aus nicht weniger als 7 verschiedenen ETFs besteht und damit im Betrieb durchaus Aufwand erzeugt, zwar auf Daten eines 18 Jahre langen Zeitraums, allerdings eben nur auf einen einzigen. Das ist eine Basis, die man sich einmal ansehen kann, die jedoch nicht ausreicht für eine gut begründete Anlageentscheidung. Neumann verweist mehrfach auf die Offenheit der Zukunft, aber letztlich scheint er klar an sein Portfolio zu glauben. Doch egal wie gut ein Gebäude gebaut ist: Ist das Fundament brüchig, bleibt es eine wackelige Angelegenheit. Eine solch geringe Datenbasis als Fundament reicht mir jedenfalls nicht. In anderen Fragen, die das Buch beantwortet, argumentiert der Autor auf einer breiteren Datengrundlage.
Als Benchmark setzt sich Neumann die Rendite des MSCI World, will aber ein geringeres Risiko erzeugen, also die Sharpe Ratio steigern. Warum ausgerechnet dieser Index und nicht etwa einer, der auch die Schwellenländer enthält, ist nicht klar. Dass das mit den großen Anteilen zwar risikoärmerer, aber eben mutmaßlich auch renditeschwächerer Assetklassen funktionieren kann, glaube ich derzeit nicht, doch in 15 Jahren werden wir schlauer sein.
Fazit zu Markus Neumanns ETF-Buch: Nützliche Einblicke und aktive Spekulationen
Wie man es vom Gründer des Fairvalue Magazin kennt: Fundiert, nüchtern, sachlich und transparent legt er seine Argumente dar und geht auch auf die Risiken seiner Depot-Varianten ein. Besonders zum Rebalancing bietet das Buch einzigartige Einsichten. Die vielen Erkenntnisgewinne werden etwas getrübt durch Einsprengsel aktiven Investierens und eine zu geringe Datenbasis für die weitreichenden Ableitungen im präferierten Musterportfolio Nummer 7.
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