Buchtipp Rainer Zitelmann: "Psychologie der Superreichen. Das verborgene Wissen der Vermögenselite"
Dieses Buch ist inmitten halbgarer Wie-werde-ich-reich-Lektüre ein Ereignis.
Nie zuvor öffneten sich 45 deutsche Superreiche, die ihr Vermögen von 30 Millionen bis 1 Milliarde Euro weitgehend nicht geerbt, sondern durch unternehmerische Aktivitäten erzeugt haben, einer tieferen sozialwissenschaftlichen Untersuchung. Sie gaben Rainer Zitelmann bereitwillig Auskunft über ihr Denken und Handeln (Werbung) von früher Jugend bis heute.
So viel vorweg: Die Superreichen, die ihr Vermögen im Wesentlichen durch Unternehmensgründungen erzielt haben, unterscheiden sich grundlegend von den bestbezahlten Angestellten der Gesellschaft, etwa Top-Managern in DAX- und MDAX-Unternehmen.
Daraus lässt sich lernen. Interessant und hilfreich sind die zentralen Ergebnisse des Buches trotz der am Ende dieses Textes genannten Einwände. Die charakterlichen Unterschiede zwischen Reich und Mitte bzw. Arm können dazu inspirieren, alternative Aktions- und Reaktionsmuster auszuprobieren, um zu testen, ob man damit weiterkommt als mit den bisherigen Verhaltensstrategien.
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Kurz zusammengefasst
Freiheit und Unabhängigkeit bestimmten ihr Handeln zeitlebens am stärksten. Das ermutigt sie, sich große und sehr konkrete Ziele zu setzen. Sie sind frustrationstolerant und konfliktbereit, vor allem aber Verkäufer mit hoher Gewissenhaftigkeit, was nicht nur Gründlichkeit meint, sondern vielmehr Beharrlichkeit, Disziplin, Fleiß und Ausdauer. Sie schwimmen häufig gegen den Strom, mal mit Lust, mal gleichgültig. Rückschläge werfen sie nicht um, sie bleiben handlungsfähig und glauben an sich.
Im folgenden Video wird der Autor zu seiner Studie interviewt und fasst die Ergebnisse wunderbar zusammen:
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Die Superreichen: Wie sie denken, wie sie handeln. Und wo sie herkommen.
Die Jugend der Superreichen
Reichen Elternhäusern entstammen sie meistens nicht, der Arbeiterschaft ebenso wenig. Es sind Mittelschichtler, deren Väter überproportional häufig selbstständig bzw. Unternehmer waren. Reichtum beobachteten sie im Verwandten- und Freundeskreis oder in der Nachbarschaft. Ihre Berufswünsche waren jedoch wenig spektakulär, genauso wie ihre schulischen und akademischen Leistungen. In diesen Institutionen fielen viele eher durch Verweigerung oder Rebellion auf als durch reges Interesse am Geforderten.
Stattdessen trieben sie Sport mit überdurchschnittlichen Ambitionen und Erfolgen, vorwiegend Einzelkämpfer-Disziplinen. Hier haben sie gelernt: Begabung ist nett, richtiges Training aber schlägt viel, beharrlich hartes Arbeiten entscheidet.
Neben dem Sport waren sie früh unternehmerisch tätig, teils mit auch aus erwachsener Sicht gigantischen Einkommen. Also: weniger Stundenlohn-Maloche, mehr Verkauf. Sie stellten viel auf die Beine und lernten implizit, was später einmal wichtig werden würde.
Verkäuferische Fähigkeiten
Bemerkenswert ist die enorme Bedeutung, die die Befragten ihren verkäuferischen Fähigkeiten – also einem klaren Kommunikationsaspekt – beimessen. Man muss verkaufen können, Produkte, Ideen, sich selbst. Überzeugen, andere für sich einnehmen. Sie sind fachlich nicht unbedingt die Besten, dafür suchen sie sich Leute. Sie stehen vorne als Rainmaker, wobei sie Frustrationen und Gegenwind gut wegstecken und weitermachen, sich von Niederlagen sogar anspornen lassen. An einem „Nein“ empfinden manche sogar Freude, da sie darin eher ein „Erkläre es noch einmal besser“ als eine harte Abfuhr vernehmen.
Optimismus als Selbstvertrauen in die eigene Gestaltungsmacht
Weniger ein (naives) „Wird schon gutgehen“, mehr ein „Ich kann mich auch im Krisenfall auf meine Fähigkeiten verlassen und die Situation positiv beeinflussen, steuern“ kennzeichnet den Optimismus der Reichen. „Selbstwirksamkeit“ nennen Psychologen diese Haltung. Davon sind die Interviewten durchdrungen.
Hohe Risikoaffinität
Es überrascht nicht, dass die Superreichen mit dem Risiko auf gutem Fuß stehen. Ohne großes Risiko keine schnelle, große Rendite. Heißt aber auch: Scheitern ist möglich bis wahrscheinlich.
Sie mögen das große Risiko, vor allem am Anfang, und sie probieren sich aus, ohne sich überall abzusichern.
Viele Hochvermögende wurden später konservativ, gehen also weniger Risiken ein, um zu bewahren, was sie erreicht haben.
Entscheidungen per Kopf und Bauch
Zunächst lassen sie ihren Verstand rechnen, um anschließend mit dem Bauch nachzufühlen, ob sie ein Geschäft eingehen sollten oder nicht.
Kritische Hinweise
Die intellektuelle Redlichkeit trägt mir jetzt ein paar langweilige kritische Anmerkungen auf, um eine eventuelle Nachmach-Euphorie auf ein realistisches Maß einzudampfen:
- Die Zuordnung von Eigenschaften basiert auf den Selbstauskünften der Befragten. Es ist durchaus möglich, ja wahrscheinlich, dass die Herrschaften sich und ihre Heldentaten rückwirkend und in der Gegenwart in einem günstigen Licht darstellen – ziemlich menschlich. Dass sie sich dabei ggf. auch ohne Absprache ähneln, kann durchaus mit der Zugehörigkeit zu einer sehr kleinen Oberklasse und dem ihr eigenen Habitus erklärt werden. Wobei, zugegeben: Ein Milliardär ist in seinem Lebensstil, seinen Äußerungen und seiner eigenen sozialen Hierarchisierung noch einmal etwas anderes als ein Multimillionär. Nichtsdestotrotz dürften sich hier klassenintern erwünschte Distinktionsmerkmale ähneln und den Ausschlag geben für eine kollektiv geschönte Selbstdarstellung.
- Möglicherweise hat der Reichtum auch erst einige Eigenschaften hervorgebracht, die jetzt in den Anfang ihrer Karriere projiziert und als (rechtfertigende) Erklärung für ihren Sonderstatus herangezogen werden. Es wäre zum Beispiel denkbar, dass die Eigenschaften, die ein Reicher benötigt, um reich zu bleiben, nicht die sind, die er braucht, um reich zu werden. Vielleicht bringt jede Reichtumsstufe andere Eigenschaften mit sich, die für den weiteren Aufstieg relevant sind? Wäre dies so, dann kann es kaum überraschen, wenn die Interviewten ihr jetziges Ich für historisch formstabil halten und annehmen, dass sie schon immer so waren, wie sie eigentlich erst neuerdings sind und sein müssen.
- Selbst wenn die Schilderungen ihres Denkens und Tuns wahr sind, handelt es sich nicht um hinreichende, sondern womöglich um notwendige Bedingungen, reich zu werden. Wenn alle
Superreichen (bzw. eine ansehnliche Gruppe von 45 Personen) bestimmte Eigenschaften aufweisen, heißt dies nicht automatisch, dass diese Eigenschaften genügen, um hochvermögend zu werden. Es heißt
nur, dass man ohne diese Eigenschaften (wahrscheinlich) kein derart wohlhabender Mensch wird.
Aus der Beobachtung der Studie „Wenn A (reich), dann B (Eigenschaften)“ folgt nicht „Wenn B (Eigenschaften), dann A (reich)“.
Der Anteil des Glückes ist nie zu unterschätzen. Fortune braucht der Mensch – aber die gesellt sich möglicherweise lieber zu den Top-Performern als zu den Gemütlichen. Trotzdem wird es wohl viele Menschen mit dem Charakterprofil eines Superreichen geben, die es eben nicht schaffen.
Zitelmann weiß das alles. Sein Buch ist keine aufputschende „Du kannst das auch!“-Pille, sondern eine Erkundungstour in die Innenwelt einer Minderheit, die von ihrer blendenden Außenwelt überstrahlt wird – wenn ihr Lichtschein das Dasein der übrigen Menschen überhaupt streift.
Fazit
Unterm Strich bleibe ich klar dabei, dass das Buch spitze ist. Es enthält spannende Einblicke in die Biografien und Seelen von Superreichen. Und es motiviert dazu, sein eigenes Verhalten zu hinterfragen – oder sich bestätigt zu fühlen.
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Erik Janssen (Donnerstag, 16 März 2017 14:12)
Schön, dass Du das Buch hier in einem Kommunikations-Kontext vorstellst! Ich hatte kürzlich was darüber im Spiegel gelesen (ich meine da stand auch, es habe sich um eine Dissertation gehandelt; zudem ist der Autor wohl selbst als Unternehmer reich geworden). Da wurde ich schon sehr neugierig und nun werde ich mir das Buch wohl wirklich zulegen!