Eine Entgegnung auf Johannes Vetter
Der PR-Bolide Klaus Kocks brachte es vor einiger Zeit auf den Punkt:
„Als Parasit der freien Presse habe ich ein Interesse daran, dass das Wirtstier am Leben bleibt.“
Da hat er natürlich Recht. Ohne unabhängige, kritische und damit vertrauenswürdige Medien profitieren weder PR noch Werbung von deren Abstrahleffekt.
Ähnlich scheint das Movens von Johannes Vetter, Kommunikationschef des OMV-Konzerns, zu liegen, wenn er sich radikal gegen Content Marketing (CM) ausspricht und der Branche rät, davon Abstand zu nehmen, da CM den Journalismus zerstöre bzw. dessen eingeleiteten ökonomischen wie qualitativen Niedergang beschleunige. Eigentlich geht es ihm also um die Stärkung der unabhängigen Medien – ein löbliches Bestreben.
Ungeachtet der enormen Reichweiten, die Journalismus heute hat (Print + Digital), und des nach wie vor großen Vertrauens, das er in weiten Teilen der Bevölkerung genießt, gibt es für viele Medien ein sich verschärfendes Monetarisierungsproblem. Hier denkt Vetter über Lösungen nach, wobei es bei Andeutungen bleibt. Selbstverständlich wäre es ein langfristig auch für die kommunikationstreibende Wirtschaft hilfreicher Ansatz, guten Journalismus zu unterstützen, ohne redaktionell Einfluss zu nehmen.
Plädoyer für mehr Gelassenheit in der Debatte
Doch wenn Vetter in Content Marketing eine existentielle Bedrohung für den Journalismus sieht und die Disziplin als Brandbeschleuniger seiner aktuellen Misere kompromittiert, schüttet er das Kind mit dem Bade aus.
Im Folgenden zeige ich, warum Content Marketing weder bekämpft werden kann noch sollte. Danach betone ich eine Eigenschaft von manchen CM- oder Native Advertising-Maßnahmen, die wirklich den Journalismus beschädigt – und füge die banale, einfache Lösung, die eigentlich jeder kennt, gleich mit an.
1. Content Marketing ist von Werbung und PR nicht eindeutig zu unterscheiden und damit auch nicht zu bekämpfen
Um Vetters steile These und merkwürdige Forderung zu unterminieren, zunächst eine kurze Historisierung mitsamt einer Betrachtung der beiden Sphären Werbung und PR sowie Content Marketing:
Von Unternehmen gekauften Platz in Fremdmedien und unternehmenseigene Medien gab es schon immer; das ist vom Leser/Hörer/Zuschauer gelernt. Dieser Platz kann im Rahmen der geltenden Gesetze frei gestaltet werden. Das geschieht mal mit Bild, mal mit Text, oft in Kombinationen aus beidem. Diese Text-Bild-Melange nun wird als eine strategische Disziplin unter dem Namen Content Marketing auf eine neue Stufe gehoben: Interessanter, witziger, nützlicher soll die Kommunikation jetzt sein.
Übrigens: Die vermutlich erste Content Marketing-Aktion ist ungefähr so alt wie der Beruf des PR-Beraters. 1895 veröffentlichte John Deere sein Magazin "The Furrow", in dem der Landmaschinenhersteller den Landwirten Tipps zur Steigerung ihrer Profitabilität gab.
Das hierzulande bekanntere Content Marketing-Beispiel stammt aus Frankreich: Anfang des 20. Jahrhunderts veröffentlichte Michelin zum ersten Mal seinen berühmten Guide, um die Menschen zum Autofahren zu motivieren, dadurch mehr Reifenverschleiß zu erzeugen und so mehr Reifen zu verkaufen.
Wo bei der Befüllung der Paid und Owned Media klassische Kreation genau aufhört und Content Marketing beginnt, mögen berufenere Leute in Definitionsschlachten ausfechten – mit vermutlich rein theoretischen Ergebnissen, die der Praxis des Kommunikationsgeschäftes wenig Fruchtbares sagen.
Nur ein Beispiel von vielen möglichen:
Ich habe mir gerade noch einmal den Audi Quattro-Spot aus den Achtzigern angesehen, den mit der Ski-Schanze. Macht immer noch Spaß. Ist das Content Marketing und muss also weg? Oder ist das Werbung und daher gestattet?
Ab welchem Grad an Interessantheit ist etwas Content Marketing?
Sollen wir die Attraktivität von Werbung bzw. Owned Media zukünftig absenken und auf tolle Ideen verzichten, damit Journalismus wieder erblühe?
Müssen wir unsere Qualität deckeln?
Absurde Fragen.
Gute Werbung war immer schon, abgesehen von harten Verkaufsbotschaften, beeindruckend, eingängig, witzig, griff gesellschaftliche Themen auf und packte die Zielgruppe bei ihrer Seele. Sie bot Identifikation mit der Marke an, indem sie Haltungen und Lebensstile spiegelte und die beworbenen Produkte in Träger von Botschaften über die Kundenpersönlichkeiten verwandelte.
Ich sehe im Content Marketing also keinen qualitativen, sondern einen graduellen Unterschied zu bisherigen werblichen Produkt- und Markenbotschaften: Zwischen schmalem Schwarz (klare Werbung, schieres, direktes Verkaufen) und schmalem Weiß (ausschließlich Content) herrscht viel Grau (Mischformen), besonders in Bezug auf den Faktor Unterhaltung.
Deshalb fällt es schwer, (böses) Content Marketing von (guter?) klassischer Werbung zu unterscheiden.
Und gegenüber dem Content und der Denkweise der klassischen PR, die Vetter offenbar okay findet, gelingt die Differenzierung der schlimmen Inhalte des Content Marketing ohnehin oftmals nicht.
Wenn aber das Böse nicht vom Guten unterschieden werden kann, lässt es sich nicht gezielt bekämpfen.
2. Content Marketing trifft auf aufgeklärte Kunden, für die es oftmals sehr nützlich ist
Aber ist Content Marketing überhaupt böse, gar des Teufels, wie Vetter wortwörtlich glaubt?
Für einen diabolischen Boten spricht wenig. Bei manchen Produkten wie z. B. technischen ist hochwertiger eigener Content sogar Pflicht, um zu inspirieren, Vertrauen aufzubauen und den Kunden bei der Verwendung zu unterstützen. Dieser Content zerstört nicht den Wert unabhängiger Urteile von Journalisten und anderen Influencern; er beschränkt Journalisten auch nicht in der Ausübung ihrer Profession.
Jeder halbwegs aufgeklärte Mensch weiß doch, dass ein Verkäufer nie ein neutraler Berater sein kann.
Trotzdem kann der Verkäufer wichtige Informationen liefern, die für sein Produkt sprechen oder andere Themen in seiner Produktwelt beleuchten. Das lässt man sich als selbstbewusster Kunde gerne gefallen, ohne sich sofort manipuliert zu fühlen und ohne den Eindruck zu haben, dem Leibhaftigen begegnet zu sein.
Das Problem besteht nicht darin, dass Unternehmen lernen, ihren gekauften Platz in den Medien bzw. ihre eigenen Medien inhaltlich so zu füllen, dass die Menschen (mit geschickt eingepflegten Werbebotschaften) unterhalten und informiert werden.
Im Gegenteil:
Die Gesellschaft profitiert, wenn etwas mehr Geist in die kommerzielle Kommunikation fährt, wenn Witz, Hirn und Nutzen Erfahrungen schaffen, die Leben oder Business der Menschen besser machen, fröhlicher, effizienter, orientierter (bei aller kritischen Distanz). Ein bisschen mehr Schönheit statt ausschließlich plumper Schreierei und Ranschmeißerei.
Das wahre, sehr kleine und leicht lösbare Problem durch Content Marketing bzw. Native Advertising für den Journalismus
Das Problem an manchen Erscheinungsformen des Content Marketing ist vielmehr die mangelhafte Absendererkennbarkeit, in Fremdmedien also das Verwischen der Trennlinie zwischen Redaktion und Werbung. Das greift wirklich den Journalismus an, trifft ihn ins Herz. Und ist deshalb gesetzeswidrig.
Je ähnlicher die journalistischen und kommerziellen Bestandteile eines Mediums in Optik, Duktus, Themenwahl, Perspektiven etc. einander werden, je nativer die werblichen Inhalte also in das journalistische Hauptprodukt integriert sind, desto klarer müssen die beiden Sphären auf anderem Wege voneinander separiert sein.
Nach aktueller deutscher Rechtsprechung handelt hier korrekt, wer die Wörter „Anzeige“ oder „Werbung“ so in der Einflugschneise des Rezipienten platziert, dass dieser sie wahrnimmt, bevor er die Inhalte der Werbung entdeckt – damit er früh ganz sicher weiß, dass nun ein strukturell vom unabhängigen Journalisten zu unterscheidender Urheber das Wort und das Bild hat.
Pragmatischer Vorschlag:
Je nativer die Werbung, desto prominenter (größer, fetter, lauter, bunter, länger) sollte eines der beiden Wörter zu finden sein.
Falls Content Marketers den unabhängigen Medien also überhaupt etwas sagen sollten, dann dies: Macht klar, wo ihr endet und wir anfangen.
Dann ist Content Marketing auch in Form von Native Advertising eine normale, legitime Einnahmequelle. Wie jede andere Werbung auch – nur in diesem Fall eben eine mit journalistischen Mitteln.
Ich habe übrigens einen grundlegenden Text über die Definition von PR und CM in Abgrenzung zur Werbung geschrieben.
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